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Die Berner Art (1936)

Humor

Semesterarbeit über Cannabis in der Schweiz

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[Rudolf von Tavel]

Den bernischen Volkscharakter zu schildern, ist heute nicht mehr leicht, weil gar so viele fremde Einflüsse sich geltend machen und das Urbild verwischen. Doch sind immer noch Züge wahrzunehmen, welche den Berner als solchen kennzeichnen und von den andern Schweizern unterscheiden.

Berner Wappen

Im allgemeinen ist der Berner langsam, bedächtig, zähe, eher wortkarg und schweigsam. Eine ehrliche Haut und verträglich im Verkehr mit anderen, ist er doch von Natur nicht sehr tolerant; aber er hat viel Herz und ein weiches Gemüt. Hat er einmal das Vertrauen zum Nächsten verloren, was nicht rasch geschieht, so ist er fast nicht wieder zu gewinnen, und es überträgt sich die Verstimmung leicht auf folgende Generationen.

Wenn Bern und bernisches Wesen in der dramatischen Literatur verhältnismässig wenig vorkommt - trotz der grossen Geschichte Berns -, so beruht das unzweifelhaft zum Teil darauf, dass im Charakter der Berner die Leidenschaft keine grosse Rolle spielt. Was der Berner sich alles gefallen lässt um des lieben Friedens willen, den er sehr hoch schätzt, ungeachtet seiner traditionellen Vorliebe für den Kriegsdienst, ist nicht zu sagen. Ein vernünftiger Familienvater, eine Mutter, ein Lehrmeister wird nicht müde, zu trösten: "Me muess sech e chly lyde", wobei das "e chly" manchmal ein ganz ansehnliches Mass bedeutet. "Chäre, äcke, chniepe, bjorne" sind dem Berner zuwider. Er ist vielleicht nicht besonders langsam zum Zorn, aber er kann den Zorn lange in sich herumtragen, ohne ihm Luft zu machen. Er "verworgget" seine "Töubi", und lässt er ihr endlich Lauf, so bleibt er auch dann noch wortkarg.

Übrigens ist die Schweigsamkeit beim Berner noch lange kein Merkmal des Unbehagens. Er mag kein "Gstürm". Der "Stürmi" ist ihm unbequem und unsympathisch. Sehr oft ist das hartnäckige Schweigen nur ein Ausdruck der Zufriedenheit, ein Zeichen der Zustimmung, ja sogar inniger Sympathie und Anteilnahme. Phrasen machen kann er nicht. Ein gutes Berner Ehepaar sitzt stundenlang schweigend beisammen, ohne dass die beiden sich im geringsten langweilen. Im Gegenteil, jedes denkt vom andern: "Es het sy Sach und isch z'fride, und das isch mer lieb." Natürlich spielen da auch Egoismus und Bequemlichkeit eine Rolle. Wie soll es bei solchen Naturen zu dramatischen Leidenschaftsausbrüchen kommen? Gerade in heftigen Gemütswallungen versagt dem Berner oft die Sprache. Er schweigt. Und aus Schweigen lässt sich kein Bühnenspiel machen.

Man erzählt, es seien einmal zwei gute Freunde von Bern nach Muri gewandert. Nächst dem Bärengraben sei ihnen ein ungewöhnlich hoch beladener Heuwagen begegnet. Beide bewunderten die stattliche Fracht, ohne darüber ein Wort zu verlieren. Erst oben am grossen Muristalden habe dann der eine zum anderen gesagt: "Du, das isch es schöns Fueder gsi!" Und sie seien schon nicht mehr weit von Muri gewesen, als der andere geantwortet habe: "Mhm, ja."
In dieser Hyperbel liegt ein Stück Wahrheit.

Dem Fremden gegenüber ist der Berner häufig zurückhaltend, wenn nicht gar misstrauisch. Merken lässt er das zwar nicht gleich. Und die Vorsicht hindert ihn keineswegs, sich freundlich mit dem Gast einzulassen. Aber eigentlich zuvorkommend ist er selten. Er lässt sehr gern andere Leute vorangehen, wo es etwas Neues zu erproben gibt. So kennt man zum Beispiel in Bern kein einheimisches Premierenpublikum, das seine Neugier nicht zu meistern wüsste. Erst auf zuverlässige Kunde von Augen- und Ohrenzeugen hin lässt man sich herbei, ein neues Theaterstück mit anzuhören. Aber auch da gibt's eine Achillesferse, eine ungeschützte Stelle in der Hornhaut. Wie der Bär sich mit Honig fangen lässt, so ist der Berner ungemein empfänglich für Artigkeiten. Wer ihm im Balg zu krauen weiss, kriegt ihn doch dran. Manchem fremden Abenteurer, dessen Herrlichkeit vor den Gerichten ein schmählich Ende gefunden, ist es anfänglich gelungen, dem Mann aus dem Volke zu imponieren. Immerhin dürfte dies im Bernbiet nicht häufiger vorkommen als anderswo.

Eigentümlich verhält es sichmit des Berners begriffen von Toleranz. Er schreibt diese sehr gerne auf seine Fahne. Da er selbst sehr freiheitliebend ist, hasst er alles, was auch nur den Anschein hat, die persönliche Freiheit zu beeinträchtigen. Das hängt aber - so paradox es klingen mag - innerlich zusammen mit einer gewissen persönlichen Unduldsamkeit. Hat der Berner einmal aus Tradition oder aus eigener Überzeugung seine Meinung gefasst, dann probier's, ihn wieder davon abzubringen! Er steht hartnäckig zu seiner Ansicht und lässt eine andere nicht gerne zu. Was man gemeinhin "gesunden Menschenverstand" nennt, ist dem Berner der älteren Generation in hohem Grade eigen, und er macht denselbenmit einer naiven Härte geltend. Dank diesem sichern Urteil weiss er Wichtiges und Unwichtiges wohl zu unterscheiden und hat deshalb auch Humor. Vor Fatalismus bewahrt ihn sein weiches Herz, das um so lauter spricht, je mehr er sich der Gegenpartei überlegen fühlt. Daher gibt es im Bernerland sehr wenig Terquäler und viele Menschen, die ihre Haustiere mit fast mehr Herz behandeln als die Mitmenschen. In vielen Fällen ist natürlich auch hierin das wirtschaftliche Interesse die wahre Triebfeder, so zum Beispiel bei jenen Grossviehzüchtern, denen der Volksmund nachredet, sie ziehen ihre Stierkälber mit "Nidle" (Rahm) auf und geben den eigenen Kindern die blaue Milch zu trinken.

Wie im Unmut, so ist der Berner auch in der Liebe und Zärtlichkeit zurückhaltend, weniger mit Bewusstsein und Überlegung als von Natur. Er ist ein "Tröchni". Überschwänglichkeit in der Liebe ist ihm fremd. Karg mit Küssen - dass sich Männer küssen, finden Berner überspannt -, meint er's dann ernst und aufrichtig, wenn er einmal seine Liebe gesteht. Ein ernstes Liebesgeständnis verursacht dem Berner jedenfalls zehnmal mehr Herzklopfen als die Pflicht, einem Freunde gehörig das "Mösch z'putze" (Messing putzen - eine Strafpredigt halten).

Diese Nüchternheit in Gefühlssachen gereicht dem Bernervolk zu grossem Vorteil im religiösen Leben. Wohl gibt's auch in Bern Leute genug, die sich mit dem Brote des klaren schlichten Evangelismus, wie es die Landeskirche vermittelt, nicht begnügen zu können glauben und sich irgendeine besondere Würze dazu suchen; aber in der überwiegenden Mehrzahl ist das Volk religiös nüchtern, ohne eigentlich indifferent zu sein. Auch die bernischen Pietisten, welche ihre "ecclesiola in ecclesia" haben wollen, legen grosses Gewicht auf eine nüchterne Auslegung des Wortes Gottes. Der echten Volksfrömmigkeit tut dies keinen Abbruch. Auch hier ist dem Berner Volk alle Überschwänglichkeit, ja sogar alles Ungewohnte zuwider.

Selbstverständlich entspricht nicht jeder Berner dem Bild, das wir hier von dem Volkscharakter zu zeichnen versuchten. Das ergibt sich schon aus unzähligen Wortbildungen der Mundart, die nicht müde wird, jedes Geschöpf, das ihr begegnet möglichst zutreffend zu bezeichnen. An das bedächtig stille Wesen der meisten Volksgenossen gewöhnt, beehrt der Berner solche, die ihm zu stark davon abweichen, mit den Zunamen "Schutzgatter", Sturm", Fägnäschti", den allzu Gesprächigen bezeichnet er als "Pradli", "Läärlauf". Leichtflüssliges Reden heisst er "dampe", den Schwätzer "Dampi". Wer darauf versessen ist, seine Meinung durchzusetzen, muss es sich gefallen lassen, als "Zwänggrind" betrachtet zu werden, was übrigens mancher noch als ein Kompliment einsteckt, denn damit imponiert man mehr als der gutmütige "Mutz", der "Trappi" oder gar derjenige, der sich durch albernes Benehmen die Bezeichnung "Löhl" zugezogen hat. Wir erkennen aus dieser kleinen Blütenlese, dass es an Bezeichnungen für allerhand Käuze nicht fehlt, woraus deren häufiges Vorkommen sich ohne weiteres ergibt.

Gilt, was wir in bezug auf den Volkscharakter sagten, von beiden Geschlechtern, so muss doch auch noch hervorgehoben werden, dass Bern reich ist an vortrefflichen Frauen. Nicht, dass sie viel von sich reden machten! Aber das ist ja gerade der grosse Vorzug der wahren Bernerin. Sie ist still und einfach, geht mit geräuschloser Energie ihrer Arbeit nach und verliert nicht allzuviel Zeit an Kunst und Wissenschaft. Als wackere Hausfrau, die alles sauber und "i der Ornig" an seinem Plätzchen haben will, ist sie ein staatserhaltendes Element. Eine Frau, die auf sich selbst oder in ihrem Haushalt sich gehen lässt, fällt sofort als "Hootsch" in Misskredit. Auch in moralischer Hinsicht will die Bernerin alles rein und klar haben. Was man in deutschen Landen schonend ein "Verhältnis" nennt, heisst im Bernerland kurz und bündig "es Gschleipf". Die Bernerin legt, wo sich Gelegenheit bietet, ihre Meinung zu sagen, eine Natürlichkeit des Urteils und eine Ursprünglichkeit an den Tag, die der in Rücksichten und Kompromissen des gesellschaftlichen und politischen Verkehrs verstrickten Männerwelt heute nur allzusehr abhanden gekommen ist. Wo intelligente Frauen Hand anlegen in gemeinnützigen Werken, da rückts. Und dabei erhebt die richtige Bernerin keinen Anspruch auf politische Rechte.

Übrigens dürfen sich die Bernerinnen meist auch sehen lassen. Gibt es nicht sehr viele auffallende Schönheiten unter ihnen, so hat doch der Bernerfrauentyp zum mindesten etwas Sympathisches. Ein Waadtländer sagte von den Bernerinnen, sie hätten "des têtes d'ange sur des corps de gendarme". Das lassen wir unter der Voraussetzung gelten, dass hier Gendarm im ursprünglichen Sinne von Elitesoldat aufzufassen sei.